Für die bessere Lesbarkeit hier noch einmal der Originaltext mit weiteren Fotos. Die Beratung dieser Mobilitätsideen im Kreistag wurde durch die Corona-Krise vorerst verschoben.
Mobilität im Wendland neu gedacht!
Region-Aktiv Tour nach Augsburg und Reutlingen bringt neue Impulse
Wie soll die Mobilität der Zukunft im Wendland aussehen? Diese Frage ist aus Sicht des Klimaschutzes eine der schwierigsten Fragen, denn im Gegensatz zur Stadt, ist der Verzicht auf ein eigenes Auto auf dem Lande bisher schlicht nicht vorstellbar. Trotzdem werden die Eindrücke von den Modellprojekten aus Süddeutschland unsere Diskussion und unsere Entscheidungen im Wendland positiv beeinflussen, darüber waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer zweitägigen Busfahrt nach Augsburg und Reutlingen einig.
Überzeugt haben die Stadtwerke Augsburg mit ihrem Konzept zur Biogasmobilität. Zwar wird ein großer Teil ihrer Verkehrsleistungen mit der Straßenbahn erledigt, die auch weiter ausgebaut wird, aber ansonsten sind die Augsburger überzeugt davon, dass weder mit modernen Wasserstoffbussen, noch mit den jetzt in vielen Städten eingeführten E-Bussen ein günstigerer und sauberer Betrieb möglich ist, als mit ihren 85 modernen Niederflur-Biogasbussen. Erste Beschlüsse zur Umstellung auf Erdgas gab es bereits 1995, komplett auf Biogas wurde die Flotte seit 2011. Wobei Wert daraufgelegt wird, dass es sich um Biogas aus Abfällen der Agrarproduktion handelt.
Herr Klaus Röder, zuständig für den Bereich „rollendes Rad“ bei den Stadtwerken, hat in einem Vergleich dargestellt, dass der Biogasbus in der energetisch-ökologischen und der wirtschaftlichen Gesamtbilanz die beste Lösung darstellt. Während das Wasserstoff-Bus-System im Moment noch unbezahlbar ist, ist der E-Bus, mit seiner begrenzten Reichweite von 150 km nur etwa doppelt so teuer.
Aktuell stellt für Stadtwerke allerdings die „Clean Vehicles“ Richtlinie der EU ein Problem dar, sie ist für die Zukunft sehr stark auf E-Busse ausgerichtet und verlangt von allen EU-Mitgliedsstaaten einen bestimmten Anteil von E-Bussen bis 2030. Auf dieses Problem hat auch Michael Jaap, im Lüchower Kreishaus für die Leitung des öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zuständig, hingewiesen. Der ansonsten voll des Lobes für die Augsburger war.
Röder sieht es gar nicht ein, seine vorbildliche Busflotte mit E-Bussen zu ergänzen, außerdem ist es für viele Stadtwerke gar nicht machbar, zwei Systeme nebeneinander zu betreiben. Er hofft, dass Bundesverkehrsminister Scheuer sein Versprechen an ihn hält, dass die Quoten für E-Busse bei der Umsetzung in deutsches Recht nur national gelten und nicht für jedes Busunternehmen.
Nach dem Einführungsvortrag über die Stadtwerke, mit 2.000 Mitarbeitern ein großer „Allrounder“, ging es mit dem Werkstattmeister Karl Kast in die Buswerkstatt und dem Biogastankstellenchef Herrn Schmidt zu den Tankanlagen. Wobei auf dem Betriebshof nicht nur die 85 großen Busse, sondern auch 50 Taxis und der städtische Fuhrpark mit 390 Fahrzeugen mit Biogas betankt werden. Für etwa 1600 private PKW stehen außer dieser Tankstelle weitere 4 Tankstellen in Augsburg zur Verfügung.
Kast überzeugte mit seinen Ausführungen, dass der Mehraufwand in der Werkstatt gegenüber Dieselbussen nur gering ist. Mit wenigen Schulungen und Nachrüstungen für die Werkstatt lässt sich jede Buswerkstatt auf das erforderliche Niveau bringen.
Sichtlich beeindruckt von diesem modernen Busunternehmen zeigte sich auch Stefan Irro, der als Geschäftsführer der Lüchower Verkehrsservice GmbH&Co.KG, ein relevanter Akteur des ÖPNV im Auftrag der kreiseigenen LSE (Lüchow-Schmarsauer Eisenbahn) ist und mit dessen Bus die Gruppe auf Tour ging. Er resümiert: „Ich bin technologieoffen und habe festgestellt, dass eine Umstellung auf Biogasbusse machbar und wirtschaftlich darstellbar ist. Wenn der Landkreis dies wünscht, werden wir dies umsetzen können“.
Mit einem weiteren Angebot für die Augsburger Kunden haben die Stadtwerke ihre Gäste beeindruckt. In Augsburg gibt es eine „Mobil-Flatrate“. Für 79 Euro kann jeder Bürger alle Verkehrsmittel nach eigenem Bedarf nutzen. Da kommt es den Stadtwerken zugute, dass sie neben Straßenbahnen und Bussen auch 200 Carsharing-Fahrzeuge und 50 Fahrradstationen betreiben und alles aus einer Hand anbieten können. Für Senioren gibt es das 99 Cent-Ticket, es gilt erst ab 9 Uhr und soll die morgendliche Rushhour entlasten. Mit einer Mobilitäts-App wollen die Augsburger in einem halben Jahr alle Mobilitätsangebote bündeln. Auch eine kleine Überraschung für die Wendländer war, dass sie beim Einchecken in das Hotel am Hauptbahnhof alle ein ÖPNV-Ticket inklusiv erhielten, mit dem ganz Augsburg erkundet werden könnte, wenn die Zeit dafür reichte. Diesen Service erhalten alle Touristen in Augsburg.
Reutlingen – Modellprojekt für das 1 Euro-Ticket
Am Freitag ging die Reise durch verschneite Landschaften weiter nach Reutlingen. Dort wollten wir erfahren, wie sich das Modellprojekt mit dem 1 Euro-Ticket bewährt hat. Noch während der Anfahrt erfuhren wir, dass ab diesem Wochenende in ganz Luxemburg der ÖPNV kostenlos werden soll.
Auf dieses weltweit erste Projekt angesprochen, reagierte der Leiter des Amtes für Stadtentwicklung in Reutlingen, Herr Stefan Dvorak entschieden. Er finde es nicht gut, den ÖPNV ganz kostenlos zu machen, denn noch umweltfreundlicher seien zu Fuß gehen und Radfahren und dafür müsse es auch noch einen Anreiz geben. Deshalb halten sie das 1 Euro oder besser 365 Euro Jahresticket für den besseren Weg. Reutlingen gehört als „Lead-City“ zu einem von 5 Modellprojekten, die vorbildlichen ÖPNV für zwei Jahre gefördert bekommen. Für die Reutlinger diente wiederum Wien als Vorbild, die schon 2012 das 1 Euro-Ticket eingeführt haben. Sie nutzten die Gunst der Stunde und haben ihr ganzes Stadtbusnetz umgekrempelt, denn bei diesem Modellprojekt wird nicht nur das 1 Euro-Ticket zu 95% vom Bund bezuschusst, sondern auch die Anschaffung von Fahrzeugen und die Infrastruktur. Sogar ein ganzer Straßenzug wurde von vierspurig auf zweibusspurig umgebaut und begrünt. Die Stadtbuslinien wurden von 11 auf 27 mehr als verdoppelt und Haltepunkte verdichtet.
Gerade an dem Tag, an dem wir in Reutlingen waren, hatte Reutlingen vor dem Bundesgerichtshof mit seiner Argumentation recht bekommen, sie bräuchten keine Fahrverbote für die Innenstadt aussprechen, wegen zu hoher Stickoxidwerte, weil sie mit ihren Maßnahmen im ÖPNV die Einhaltung der Grenzwerte erreichen würden. Diese Debatte hat auch dazu beigetragen, dass die Stadträte dazu bereit waren, den ÖPNV stark zu fördern und die Autos aus der Innenstadt zu vergraulen. Sicher auch ein Grund dafür, dass sich Reutlingen dazu entschlossen hat, ihre Busflotte schrittweise auf E-Busse umzustellen. Bis 2030 wollen sie 100% erreichen.
Dieses Konzept scheint aufzugehen für diese Stadt mit 116.000 Einwohnern. Mehr Angebot schaffen und gleichzeitig die Preise senken. Im ersten Jahr des Modellprojektes (2019) wurde die Zahl der Fahrgäste um 1 Million gesteigert, für 2020 wird mit einer weiteren Million gerechnet. Dabei wurde der Takt auf mindestens alle 20 Minuten verdichtet, selbst sonntags mindestens alle 30 Minuten im ganzen Einzugsgebiet, in der Innenstadt weit häufiger.
Auch für die bessere Erschließung des ländlichen Umlandes wird viel getan. Die Stadtbahn bis zur etwa 50 km entfernten schwäbischen Alb soll ab 2022 mit neuartigen Straßenbahnen, die auf stillgelegten Bundesbahn-Schienen verkehren sollen, wiederbelebt werden. Die Förderbescheide in Höhe von 80 bis 95% liegen bereits vor.
Doch wie geht es weiter, wenn die Förderung 2021 in Reutlingen ausläuft? Bisher hatte die Stadt Reutlingen ihren ÖPNV mit 700.000 Euro pro Jahr bezuschusst. In Zukunft werden es 4,5 Millionen Euro Zuschuss sein. Doch das ist es der Stadt wert. Sie wissen, noch mehr Autos verkraftet die Stadt nicht. Aber mit dem Modellprojekt wurden bisher auch schon 22 Millionen Euro an Fördermitteln in eine klimafreundliche Infrastruktur investiert und die Luft damit in Reutlingen deutlich sauberer.
Alexandra Schramm, die Geschäftsführerin der kreiseigenen LSE hat viele Anregungen aus Augsburg und Reutlingen mitgenommen. Sie betont, dass die Städte Augsburg und Reutlingen nicht mit dem dünn besiedelten Lüchow-Dannenberg vergleichbar sind. Während in den Städten 2.000 Menschen pro km2 leben, sind es im Wendland nur 40. Trotzdem möchte sie die besten Ideen übernehmen und eigene Zielvorstellungen entwickeln. Besonders an der Entwicklung einer Mobilitäts-App mit einem „on demand“-System hat sie großes Interesse, um individuelle Mobilitätsbedürfnisse in Echtzeit zu erfüllen.
Für Klara Donath und Greta Neumann, die beiden jungen Frauen von „Fridays for Future“, die Region Aktiv zur kostenlosen Teilnahme an der Busreise eingeladen hatte, waren es total interessante Eindrücke. Für Greta war besonders die Preissenkung in Reutlingen wichtig, denn die dürfte auch im Wendland viele Menschen motivieren mit dem Bus zu fahren. Sie finden, der Landkreis solle auf jeden Fall versuchen, auch Modellprojekt zu werden, „weil wir sowieso ein alternativer Landkreis sind und die Klimaschutzziele haben.“
Hohe Förderquote nur für kurze Zeit
Wie geht es nun weiter, nach dieser Busreise? Die 14 TeilnehmerInnen wollen an dem Thema dran bleiben. Der Landrat Jürgen Schulz hat zugesagt, das Thema im nächsten Verkehrsausschuss und im nächsten Kreistag auf die Tagesordnung zu setzen. Und die Zeit drängt, betont der Initiator der Reise und Vorsitzende von Region Aktiv, Dieter Schaarschmidt. Die hohe Fördermittelquote für Biogasbusse wird voraussichtlich nur von kurzer Dauer sein und auch die 10 Modellprojekte für Mobilität sind sicher schnell vergeben.
Fotos von Dieter Schaarschmidt:
Werkstattmeister Karl Kast zeigt den Wendländern seine Buswerkstatt in Augsburg
Eckart Tietke (stellvertretender Bürgermeister aus Trebel) und Michael Seelig betrachten einen Biogasbusmotor
Probefahrt im Biogas-Gelenkbus durch die Waschanlage, vorne im Bild Stefan Irro
Karla und Greta von Fridays for Future plädieren auch für Preissenkungen im Wendland
Übersichtsplan der Region Reutlingen, in der Busfahren nur 1 € pro Tag oder 365 €/ Jahr kostet.